Wie man auf Störungen im Konzertsaal reagieren kann
Der Fall schlägt hohe Wellen, zumindest in der hiesigen Tageszeitung. Zu einem Beethoven-Konzert
in Bonn mit der Aufführung der Neunten Sinfonie war ein Säugling mitgenommen worden.
Anscheinend von der Mutter. Jedenfalls heißt es in dem Artikel über den Vorfall, sie habe es fünf
Minuten schreiben lassen, ohne (mit dem Baby) den Saal zu verlassen.
Der Autor des Artikels berichtet davon, mit einem Chor in China gewesen zu sein und eine ähnliche
Szene erlebt zu haben. Allerdings hatte da kein Baby geschrien, sondern ein kleiner Junge in der
dritten Reihe nur etwas gezappelt. Es habe keine 20 Sekunden gedauert, und eine Platzanweiserin
habe Mutter und Sohn „drakonisch aus dem Saal geführt“. Zum Glück sind wir nicht in China.
Nun lässt sich trefflich darüber streiten, ob eine solche Form der „musikalischen Früherziehung“
denn einen Nährwert hat, ob die Eltern das eigene Erleben des Konzertes über jede
Rücksichtnahme auf andere Besucher stellen dürfen, die sich von dem Kindergeschrei gestört
fühlten, oder ob ein Babysitter plötzlich und überraschend ausgefallen war und die teuren Karten
nicht verfallen sollten.
Souverän reagierte der Intendant des Bonner Theaters: Er hat sich bei den Besuchern entschuldigt
und als Entschädigung für den entgangenen Genuss den gestörten Konzertbesuchern einen
Rabattcode für nicht ausverkaufte Konzerte bis zum Ende des Beethovenfestes gewährt.
Es ist sicherlich fünf Jahrzehnte her, das erlebte der Schreiber dieser Zeilen selber eine
ähnlichen Szene. Nicht als Gestörter, sondern als Störer. Wir hatten Karten für die erste Reihe
eines Konzertes des Chrores der Don Kosaken in der Mönchengladbacher Kaiser-Friedrich-Halle.
Damals noch unter dem legendären Serge Jaroff.
Natürlich hatte ich mich mal wieder verspätet und dann auch noch keinen Parkplatz gefunden.
Jedenfall nicht direkt an der Halle. Wir mussten uns sputen und hatten das Stück vom Auto bis zu
unseren reservierten Plätzen in Laufschritt zurückgelegt. Jetzt saßen wir da, der Chor nahm
Aufstellung auf der Bühne – und mich überfiel ein Hustenanfall der übelsten Sorte: Eine leichte
Erkältung und dazu die ungewohnte Anstrengung durch das Laufen ließen mich just nach den ersten
Takten des Eröffnungsliedes in einen ganz furchtbaren Hustenanfall ausbrechen.
Serge, der nie ein Dirigent der ausufernden Armbewegungen war, sondern seine Sänger mit ganz
leichtem Auf und Ab seiner Finger im Griff hatte, ließ den Gesang unterbrechen, drehte sich
lächelnd zu mir um, dem hustenden Störenfried direkt vor ihm, und deutete mit ruhigen
Bewegungen der flachen Hände, ganz in Ruhe zu Ende zu husten. Als er den Eindruck hatte, ich sei
fertig – was ich dann in jeder Hinsicht auch war – drehte er sich wieder zu seinen Sängern und ließ
den Chor erneut anstimmen.
Auch wenn es sicher keine Glanztat war: Wer kann schon von sich sagen, die Don Kosaken einmal
unterbrochen zu haben.