Vier Jahrzehnte später ist Orwell total überholt
Just zum Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb der britische Schriftsteller George Orwell seinen
berühmten Roman über einen totalitären Staat in der Zukunft. Die benannte er schon im Titel mit
„1984“, und das schien damals noch weit weg.
Ob der von ihm beschriebene Überwachungsstaat bislang wenigstens teilweise oder gar in allen
Einzelheiten eingetroffen ist, kann nicht gesagt werden. Aber dass die seherischen Festlegungen
Orwells in manchen Punkten weit überholt sind, das steht fest - auch wenn es aktuell und in unseren
Regionen weniger um die Staatsmacht geht als eher um die Allmacht großer Konzerne.
Die fiel einer breiten Öffentlichkeit besonders auf, als Automobil-Hersteller das erste Mal
Kundschaft wie auch Behörden vorführten. Um die Abgaswerte in dem aus Umweltschutzgründen
erlaubten Maß zu halten, wurde die Elektronik so manipuliert, dass beim Messen auf dem Prüfstand
nicht die aktuellen (hohen) Werte angezeigt wurden, sondern die (geringen) bei Fernfahrten. Der
Aufschrei der Kundschaft war riesig, die Reaktion der Hersteller eher peinlich: Sie streiten zum Teil
bis heute weltweit vor den Gerichten – teils so nah am Abgrund stehend, dass sie der eigenen Gier
Willen ums pure Überleben kämpfen müssen.
Als ich vor einiger Zeit an dieser Stelle über eigene Erfahrungen mit Elektronik im Auto berichtet
habe, waren sich viele angebliche Technik-Fachleute, aber auch solche der alles (besser) wissen
wollenden Betriebs- und Volkswirtschaft sehr einig: alles Unsinn, üble Nachrede, weder technisch
machbar noch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten von den Herstellern erwünscht. Dabei hatte ich
nur den seltsamen Umstand beschrieben, dass mehrfach solche Teile den Geist aufgaben, deren
Garantie gerade abgelaufen war.
Jetzt stellte sich heraus, dass zumindest ein riesiger Fahrzeughersteller aus seinen Autos Daten
gesammelt hat, die alle bisherigen Vermutungen weit in den Schatten stellen. Unter den
Motorhauben versteckte elektronische Helferlein sammelten Daten über die Laufaktivitäten der
Motoren, über die gefahrenen Geschwindigkeiten und die Routen aus dem Navi. Die waren zwar
anfangs einmal so grob in ihren Anzeigen, dass gelegentlich ein kleines Dorf glatt verpasst wurde.
Aber inzwischen zeigen sie Fahrstecken und Halteorte auf wenige Zentimeter genau an.
Und hier fängt es an, für alle, viele, manche Kunden problematisch zu werden. Mögen sich die
einzelnen Werte auch noch relativ ungefährlich anhören – in ihrer Kombination bieten sie
Sprengstoff: Wem die Daten in die Hände fallen oder wer sie sich – auf welchem Weg auch immer –
beschafft, der kann exakt ermitteln, wann das jeweilige Fahrzeug von wann bis wann an welcher
Adresse geparkt wurde. Dann ist die Feststellung ein Leichtes, ob sich da eine Edelrestaurant oder
eine Einrichtung des horizontalen Verkehrs befindet. – Was auch immer der Datenauswerter mit
derlei Erkenntnissen anstellen will.
Die Konsequenz kann für die Liebhaber elektronisch hochgerüsteter Fahrzeuge, also Computern auf
Rädern, nur sein: Ab sofort ausschließlich zu Fuß in den Puff.