Sie wollten doch nur ein wenig die Titanic gucken
Jetzt ist die Verbindung zum Mutterschiff schon einige Zeit unterbrochen. Das Mini-U-Boot befindet
sich auf dem Weg zur Titanic, dieser gesunkenen Ruine des Fortschrittswahns: 1912 als größtes Schiff
der Welt gebaut und schon auf der Jungfernfahrt mit einem Eisberg kollidiert und gesunken. Mehr als
1.500 Todesopfer waren auf dem angeblich unsinkbaren Schiff zu beklagen.
Fünf Menschen hocken auf wenigen Quadratmetern eng beieinander: ein 77-jähriger auf Titanic
spezialisierter Forscher, der Chef der Betreiberfirma und zugleich Steuermann des Bootes, ein
englischer Abenteurer und Jäger mehrerer Guinness-Weltrekorde sowie ein Milliarden schwerer
Unternehmensberater mit seinem Sohn.
Die illustre Mischung fühlt sich sicher - unterwegs zu dem Nervenkitzel, den der grandiose
Aussichtsplatz auf eine Katastrophenruine bieten soll. Erstens reicht der Sauerstoff an Bord für vier
Tage, und zweitens gehen die Sucher des aberwitzigen Kicks davon aus, dass alle Welt eh jede
Anstrengung unternimmt, im Notfall Hilfe zu leisten. Die vier Gäste haben rund eine Million für den
Ausflug berappt.
Solche Gedanken hatten die rund 700 Flüchtlinge nicht, die den verbrecherischen Schleppern rund 3,5
Millionen zahlen mussten, um auf den rostigen Kahn zu dürfen und über das Mittelmeer fliehen zu
können. Glücklich war, wer einen Platz an Deck des hoffnungslos überladenen Seelenverkäufers ergattern
konnte. Mindestens 500 Frauen und Kinder hatten das nicht und waren unter Deck eingepfercht wie die
Schlachttiere in den ausländischen Viehtransportern.
Als das Schiff in der schweren See kentert, kommt es zur Katastrophe, an deren Ende mindestens 500
Menschen trotz der Boote der griechischen Küstenwache ihr Leben verlieren. Die furchtbaren Szenen, in
denen sich dem Tod Geweihte gegen ihr Schicksal anzustemmen versuchten, kann man sich nicht schlimm
genug vorstellen.
Die Abenteurer müssen vor ihrem Einchecken in ihr Mini-U-Boot von den toten Flüchtlingen erfahren
haben. Vielleicht haben sie in ihren letzten Minuten sogar an diese Schicksalsgemeinschaft gedacht. Als
ihnen in eisiger Kälte dämmerte, dass sie entweder langsam ersticken würden – oder dass ihnen mit einer
Implosion ein etwas gnädigeres Schicksal durch einen schnellen Tod gewährt würde. Wenn 400 Kilo Druck
pro Quadratzentimeter die Außenhaut zerquetschen, dann werden die Körper in Sekundenschnelle
zermalmt. Das Glück scheinen die Lustreisenden gehabt zu haben.
Die 500 Flüchtlinge vor Elend und Not, namenlose Habenichtse, sind langsamer und sehr viel qualvoller
ertrunken oder sonst wie umgekommen – und mit weit weniger öffentlicher Anteilnahme der Umwelt und
vor allem der sensationsgierigen Weltpresse.