Herzlichen Glückwunsch - 75 Jahre und kein bisschen weise
Auch dann, wenn man sich seit über 60 Jahren kennt, ist man vor Überraschungen nicht gefeit.
Zuerst machten die Veränderungen nur ganz kleine Schritte, und in manchen Ansichten entwickelten
wir uns sogar parallel. Von dem einen begonnene Sätze über viele Politiker hätten problemlos vom
Gegenüber zu Ende formuliert werden können.
Mit einem großen Unterschied: Als jemand, der nicht „gedient“ hat, konnte ich seinen Fachvorträgen
über militärische Fragen nicht einmal ansatzweise folgen. Meine Kenntnisse als Untauglicher gingen
kaum darüber hinaus, dass zeitweise alles, was nicht schwamm, zur Marine gehörte, was nicht flog
zur Luftwaffe und was nicht fuhr zum Heer. Seinen Erklärungen über Feinheiten der militärischen
Strukturen – unter spezieller Berücksichtigung seiner Kenntnisse aus der Luftraumüberwachung
Richtung Osten - konnte ich nur mit einer ganz eigenartigen Mischung aus Bewunderung für sein
Wissen und Abscheu gegenüber daraus resultierenden Folgerungen wahrnehmen.
Auch wenn seine Expertisen zum Krieg in der Ukraine immer noch einen großen Teil seines Denkens
einzunehmen scheinen, haben sich die Gewichte in einer Weise verschoben, die mich ängstigen. Die
Erfahrungen bei Corona-Impfungen, durch gesundheitliche Umstände bedingte Besuche bei
niedergelassenen Ärzten, in Krankenhäusern und Apotheken verschoben seine Schwerpunkte ein wenig
in diesen Bereich. Mit der eindeutigen und ausführlich begründeten Klage, was im Gesundheitswesen
trotz des vielen Geldes, das er dafür bezahlen müsse, nicht in Ordnung sei. Da ist ihm sicher nicht
grundsätzlich zu widersprechen.
Und auch seine Klagen über fürchterliche Auswüchse in unseren Verwaltungen oder im Rechtswesen
sind vielfach angebracht. Allerdings gibt es da Grenzen. Wenn sich jemand darüber aufregt, dass er
auf seinem Weg zum Weinhandel im Nachbardorf gezwungen ist, durch den Ortskern zu fahren – da
aber seit einiger Zeit Tempo 30 gilt, ohne dass es eine Umfahrung ohne Geschwindigkeitsbeschränkung
gibt, dann kann ich das nicht ernst nehmen.
Völlig ins moralische Abseits hat sich der Jubilar mit seinen vorgeschobenen Gründen geschossen, die
er für den Niedergang unseres Landes anführt: Die Ausländer sind schuld. Nicht alle, aber alle, die
nicht aus „unserem Kulturkreis“ stammen. Bei solchen Sätzen schwillt mir augenblicklich der Kamm.
Wenn ein überzeugter Christ Andergläubige, zum Beispiel Moslems oder Hindus, einem fremden
Kulturkreis zurechnet, dann mag das so angehen. Auch wenn die reine Lehre keinen Unterschied
zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens oder anderer Hautfarbe macht.
Wenn sich aber ein getaufter Katholik ausdrücklich als Agnostiker bezeichnet und zugleich etwas von
Rassen faselt, die nicht „zu uns“ gehören, dann geht mir diese Nähe zu unserer schlimmen braunen
Vergangenheit entschieden zu weit.
Gleichwohl: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und ad multos annos.