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Der Tag, als „Helene“ mich im Chat anschrieb Chaträume sind so etwas wie digitale Wundertüten: Meist versprechen die Verpackungen entschieden mehr, als sie enthalten. Grundsätzliches Misstrauen ist angebracht, wenn die Profilbilder die angebliche Inhaberin mit üppigen DD-Oberweiten oder den vermeintlichen Inhaber mit einem extrem durchtrainierten Sportler-Body zeigt. Relativ oft wird man angeschrieben von meist älteren Damen – Typ Tante Berta -, die mit ausführlichen Beschreibungen schlimmster Erkrankungen ihr baldiges Ende ankündigen. Vorher wollen sie noch ihr Vermögen in vertrauenswürdige Hände geben. Und dann folgen Summen, die mal bei nur 300.000, mal aber auch bei 30.000.000 Euro liegen. Wer auf das irre Angebot eingeht, der Auserwählte zu sein, wird in einen Dialog verwickelt, in dem langsam, aber sicher immer mehr persönliche Angaben entlockt werden sollen. So war das bisher. Jetzt ist eine neue Zeit angebrochen: KI greift an. Die Möglichkeiten, die „Künstliche Intelligenz“ bietet, werden zwar erst zögerlich und noch einigermaßen amateurhaft genutzt, aber es wird probiert. In Facebook von einem Pseudo „Helene Fischer“ angeschrieben zu werden, ist zunächst einmal nicht überraschend. Selbst die Zusicherung „Ich bin es wirklich“ lockt allenfalls ein Schmunzeln hervor. Aber warum soll man den Spaß nicht einmal mitmachen. Es entwickelt sich ein munterer Dialog. Der zeichnet sich entgegen vielen anderen Texten, die man im Netz zu lesen bekommt, durch eine gepflegte Sprache und völlig untypisch fehlerarme Texte aus. Gleichwohl bleibt man sehr nachdrücklich bei dem Misstrauen, auf der anderen Seite würde tatsächlich die berühmte Sängerin sitzen – und äußert das sehr entschieden. Dann ändert sich die Taktik, und der Chatter wird in ein anderes Medium gelockt: „Hier muss ich zu vielen antworten, lass uns auf Telegram chatten, da habe ich mehr Zeit für dich.“ Gesagt, getan. Weiter geht es mit Beteuerungen, nun habe sie (Helene) mehr Zeit für mich und ich dürfe sicher sein, dass sie es selbst sei. Als ich mich immer noch misstrauisch zeige, kommt ein neuer Vorschlag: „Ich rufe dich heute Abend an. Dann hörst du, dass ich es selbst bin.“ Jetzt habe sie noch schriftliche Arbeiten zu erledigen. In Ordnung. Der Abend vergeht, das Telefon bleibt stumm. Am nächsten Morgen folgt die Überraschung: Sie hat mir ein Video geschickt und die Erklärung, dass sie gestern nicht zum Telefonieren gekommen sei. Die Video-Datei zeigt eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die mich mit meinem Namen anspricht und in dem 29-Sekunden-Video erklärt, sie sei es selbst. Gesicht und Frisur haben eine gewisse Ähnlichkeit, müssten aber noch deutlich optimiert werden. Nur die Stimme ist – wohlwollend umschrieben – grauslich. Man stelle sich die bei „DSDS“ vor und male sich Dieter Bohlens Kommentar aus. Immerhin tröstlich: Niemand hat mich als Bohlen oder Heino angeschrieben.
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